Wenn ich Patient:innen befrage, ob sie denn ihre Pflegediagnosen kennen, verneinen sie und fragen mich erstaunt, was denn eine Pflegediagnose sei. Wenn ich DGKP befrage, ob die Patient:innen ihre
gestellten Pflegediagnosen kennen, wird das ebenfalls verneint.
Wie kann das sein? Pflegediagnosen müssen mit den Betroffenen besprochen werden. Sie haben das Recht, ihre Pflegediagnosen zu kennen und auch Einspruch zu erheben, bzw. andere Pflegediagnosen zu
verlangen.
Es besteht der Verdacht, dass die Pflegediagnostik von vielen DGKP gar nicht richtig verstanden wurde. Was sind denn eigentlich Pflegediagnosen? Warum sollen diese gestellt werden? Und wie werden
sie gestellt?
Eine Pflegediagnose ist „eine klinische Beurteilung der Reaktionen der Betroffenen auf aktuelle oder potenzielle Gesundheitsprobleme/Lebensprozesse“. Sie sind die Grundlage für die Auswahl der
individuellen pflegerischen Interventionen, kurz gesagt, keine Pflegehandlung ohne eine Pflegediagnose. Pflegehandlungen sollen dazu dienen, die formulierten Ziele, die gemeinsam mit den
Betroffenen formuliert wurden, zu erreichen.
Um eine Pflegediagnose zu erstellen, braucht es ein professionelles und fundiertes Pflegeassessment. Ein Pflegeassessment ist nicht bloß das Abfragen von vorformulierten Inhalten („Haben Sie
Probleme mit dem Schlaf?“) sondern ein offener Prozess, wo alle erhobenen Parameter miteinfließen. Dazu zählen auch klinische Untersuchung, Biografie, Familienverhältnisse, Gedanken, Gefühle,
etc. Nur ein fundiertes Pflegeassessment kann auch zu einer passenden Pflegediagnose führen. Die Betroffenen haben das Recht, ihre Pflegediagnose zu kennen. Nur so kann gemeinsam dann ein Ziel
formuliert werden.
Pflegediagnosen können nicht am PC erstellt werden, es braucht dafür zwingend einen Patient:innenkontakt. Ohne mit den Betroffenen zu reden, kann keine Pflegediagnose erstellt werden. Ohne
Pflegediagnose wiederum kann keine Pflegeplanung erstellt werden. Für all diese Kompetenzen braucht es eine höherwertige Qualifikation. Das bedeutet, es braucht ein hohes Fachwissen, um im Rahmen
des Pflegeprozesses ein Pflegeassessment, eine Pflegediagnose und eine Pflegeplanung zu erstellen. Das kann nur im Gespräch mit den Betroffenen durchgeführt werden. Das ist alleinige Sache der
DGKP und kann nicht delegiert werden.
Wenn die Patient:innen jetzt ihre Pflegediagnosen nicht kennen, stellt sich die Frage: wer hat mit ihnen gesprochen? Auf Basis von welchen erhobenen Daten wurden die in der EDV aufscheinenden
Pflegediagnosen gestellt?
Pflegediagnosen und auch Pflegeplanungen können nicht standardisiert werden, da sie an die individuellen Gegebenheiten und Bedürfnissen der Patient:innen gekoppelt sind. Es liegt auf der Hand,
dass nicht alle Patient:innen die gleichen Pflegediagnosen und/oder die gleichen Ziele haben, oder?
Eine Pflegediagnose, die nicht mit den Patient:innen besprochen wurden, sind keine Pflegediagnosen. Sie haben keine Gültigkeit. Es steht der Verdacht im Raum, dass sie einfach „erfunden“ wurden.
So wie die Ärzteschaft nicht einfach ohne Begutachtung der Patient:innen einfach eine medizinische Diagnose stellen kann, so kann auch die professionelle Pflege (DGKP) nicht einfach eine
Pflegediagnose in die EDV tippen. Das ist sinnbefreit.
Berta Schrems schreibt in ihrem Buch sehr ausführlich darüber, sie zeigt auf, dass das mangelnde Wissen um den Pflegeprozess und die Verkürzung auf eine lästige Schreibarbeit die DGKP wieder zu
einer Hilfsdisziplin degradiert wird.
Den Pflegeprozess zu verstehen, dafür braucht es ein jahrelanges Lernen und Auseinandersetzen mit diesem Thema. Das wird in einem Studium erlernt. Es ist eine höherwertige Aufgabe, für die es
viel Fachwissen benötigt.
Eine Pflegeplanung ohne Pflegediagnose zu erstellen, ist nicht möglich. Deshalb kann auch keine Assistenzkraft wie die PFA so eine Pflegeplanung erstellen. Das ist weder im Curriculum noch im
Qualifikationsprofil der PFA vorgesehen. Auch das GuKG sieht das nicht vor. So eine Vorgehensweise kann nur mit mangelndem Fachwissen begründet werden.
Eine DGKP, die noch keine fachhochschulische Ausbildung absolviert hat, kann die Pflegediagnostik in diversen Fortbildungen und im Selbststudium nachlernen, das dauert erfahrungsgemäß um ein paar
Jahre länger, als wenn es gleich in der Grundausbildung gelehrt wird.
Jedenfalls ist jede pflegerische Handlung mit einer Pflegediagnose, die mit den Patient:innen besprochen wurde, zu begründen.
Die Ärzteschaft profitiert davon, die Pflegediagnosen zu kennen, denn so erfahren sie mehr über ihre Patient:innen. Deshalb sollte bei der stationären interdisziplinären Visite auch immer die
Pflegediagnose zur Sprache kommen. Da liegt es auf der Hand, dass bei der Visite selbstverständlich die DGKP anwesend ist und nicht die PFA geschickt wird, denn diese kann keine Auskunft über die
Pflegediagnose geben.
Sie wollen mehr darüber erfahren? Sie wollen Ihr Wissen im Bereich der Pflegediagnostik erweitern?
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Alle Informationen dazu finden Sie hier: https://www.pflegeminusschmerz.at/kurse-termine/online-workshop-modul-i-pflegerische-kernkompetenzen-der-dgkp-und-umsetzung-in-die-praxis/
S. Geyrhofer, BA, DGKP (erstellt am 27.07.2025)
Literaturquellen:
Herdmann, T.H.; Kamitsuru, S.; Lopes, C.T. (2025): Pflegediagnosen. Definitionen und Klassifikation 2024-2026. Thieme RECOM
Klas, K.; Horak, M.; Mitterdorfer, A. (2020): Pflegequalität! Facultas Verlag.
Schrems, B. (2021): Der Prozess der Diagnostizierens in der Pflege. Facultas Verlag.
Schrems, B. (2018): Verstehende Pflegediagnostik. Facultas Verlag.
Doenges, M.; Moorhouse, M.; Geissler-Murr, A. (2024): Pflegediagnosen und Pflegemaßnahmen. Hogrefe Verlag. Bern.